Verzicht oder Buen Vivir?

Das Monatsthema vom Mai der GWÖ Schweiz lautet „Verzicht“. Es freut uns sehr, dass wir passend zu diesem Thema ein Interview mit Niko Paech, Postwachstumsökonom und Autor des Buches „Die Befreiung vom Überfluss“, führen durften.

Das Interview führte Antonia Merz, aktive GWÖlerin der Regionalgruppe Winterthur.

Das Interview

Sind Sie glücklich, Herr Paech? Wenn ja, was ist Ihr Geheimnis?

NP: Ich würde mich eher als zufriedenen Menschen bezeichnen, der aber durchaus auch stressige Phasen durchlebt, weil er mal wieder nicht häufig genug „nein“ zu Leuten gesagt hat, die etwas von ihm wollen. Glück empfinde ich als kurzen Moment, in dem eine große Erleichterung eintritt oder etwas Positives geschieht, das nicht erwartet wurde. Diesbezügliche Geheimnisse habe ich nicht, aber einen Trick möchte ich empfehlen: Je geringer die Erwartungen oder Ansprüche sind, desto wahrscheinlicher ist es, durch schöne Ereignisse überrascht zu werden.

Vielleicht trägt auch der Umstand ein wenig dazu bei, das coronabedingt ein Grossteil der mit ihrem Buch „Die Befreiung vom Überfluss“ verbundenen Forderungen plötzlich möglich werden und sich die Welt trotzdem weiter dreht? Der Flugverkehr ist zurückgegangen, globale Lieferketten drängen in das Bewusstsein der Menschen und werden hinterfragt und die Solidarität unter den Menschen ist wieder gestiegen. Teilen Sie ein paar Ideen mit uns, wie eine Post-Corona-Ökonomie und Gesellschaft aussehen könnte und was es dafür bräuchte?

NP: Unabdingbar werden sesshafte und genügsame Lebensstile, um die Mobilitäts- und Konsumbedarfe an das heranzuführen, was auch im Krisenfall mit geringem Aufwand und gegebenenfalls eigenen Kräften aufrechterhalten werden kann. Der Rückbau globaler Abhängigkeiten erfüllt zwei Funktionen, zum einen mehr Resilienz, zum anderen ökologische Überlebensfähigkeit. Es werden neue Strukturen benötigt, um die Güterversorgung möglichst vor Ort und unter Mitwirkung der Verbraucher:innen zu organisieren. Vonnöten wäre als erste kleinschrittige Maßnahme ein flächendeckendes Netz an kommunalen Ressourcenzentren, um Leistungen zur Nutzungsdauerverlängerung von Gebrauchsgütern zu bündeln, und an Betrieben der solidarischen Landwirtschaft, um Ernährungssouveränität zu erreichen. Beides ist politisch und finanziell weitgehend voraussetzungslos, kann überdies jeweils von kleinen Initiativen in Gang gebracht werden.

Warum denken Sie, dass wir Suffizienz („Das Genug“) als Befreiung und Glücksmotor erleben können?

NP: In der Komfortzone leiden immer Menschen unter psychischen Wachstumsgrenzen. Reizüberflutung und ein Mangel an Selbstwirksamkeit breiten sich aus. Die zusehends durch Konsum, rastloser Mobilität und Digitalisierung verunstaltete Mitwelt ist immer weniger zu ertragen. Wer sich von unnötigem Wohlstandsschrott freimacht, fängt an, wieder zu leben.

Die Gemeinwohl-Ökonomie setzt sich dafür ein ein Wirtschafts-, aber auch Gesellschaftsmodell zu etablieren, dass das Gemeinwohl und nicht das Wachstum in den Mittelpunkt stellt. Welche Schritte sind nötig, um diesen Wandel zu bekräftigen?

NP: Angebotsseitige Wachstumszwänge werden verstärkt durch kapitalträchtige Produktionsmethoden sowie Unternehmensformen, die eine rücksichtslose Kapitalverwertung begünstigen. Beides kann nur überwunden oder gemildert werden, indem weniger technologieabhängige Versorgungssysteme etabliert werden, die auf mehr Arbeitseinsatz oder einer Mitwirkung von Prosumenten beruhen. Weiterhin erscheint die Genossenschaft als Unternehmensform am ehesten geeignet, sich Profitinteressen zu widersetzen. Dann bleiben noch nachfrageseitige Wachstumstreiber. Diese sind nur über einen kulturellen Wandel zu meistern: Indem Konsumenten darin unterstützt werden, mit weniger Waren auszukommen, diese zu teilen, zu erhalten, zu reparieren und teilweise auch selbst zu produzieren.

Wir würden gerne von Ihnen als Suffizienzprofi lernen – welche Tipps haben Sie, um Gemeinwohl durch Suffizienz ganz konkret zu fördern?

NP: Meine Kollegin Christel Maurer, die in Bern als Unternehmensberaterin tätig ist, hat acht Suffizienzstrategien im Unternehmensbereich identifiziert, die verschiedene Effekte haben, nämlich Resilienz, ökologische Verantwortung sowie ein sinnstiftendes Dasein als Unternehmer:in. Generell kann ein plausibler Suffizienzbegriff nur auf eine ökologisch integre Lebensführung verweisen. Denn globale Gerechtigkeit innerhalb unverhandelbarer physischer Grenzen ist der einzig widerspruchslos begründbare Maßstab, an dem sich heutige Gesellschaften noch orientieren können. Suffizienz ist nur anhand individueller Öko- oder mindestens CO2-Bilanzen messbar. Mehrdimensionale Zielsysteme, die oft Wunschzettelcharakter haben, sind unvereinbar damit, dass die Ökosphäre den kritischen Engpassfaktor eines Fortbestandes menschlicher Zivilisationen bildet. Physische Lebensgrundlagen sind nicht verhandelbar – doch genau dies wird suggeriert, wenn deren Belange inmitten beliebiger für gleichrangig befundener Zieldimensionen positioniert werden.

Zur Person

Niko Paech, Jahrgang 1960, ist ein deutscher Wachstumskritiker und Vertreter der sog. „Postwachstumsökonomie“, in der wir durch einen Rück- und Umbau der Industrie, regionalökonomische Konzepte, Suffizienz und dem (Wieder-) Erlernen von handwerklichen Fähigkeiten etc., dem Wachstumszwang in Wirtschaft und Gesellschaft Einhalt gebieten. Diesen Ansatz befördert er in Lehre und Forschung an der Universität Siegen im Studiengang „Plurale Ökonomik“ sowie durch viele konkrete Projekte. Er hält ausserdem unterhaltsame und scharfsinnige Vorträge mit schelmischen Humor und ist Autor mehrerer Bücher, u.a. „Befreiung vom Überfluss – auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“ oekom Verlag (2012), welches auch neun Jahre nach seiner Erscheinung kein bisschen an Brisanz eingebüsst hat.