Antonia Merz, Mitglied in der Regionalgruppe Winterthur, lässt uns teilhaben an ihren alltäglichen Veloleben und schreibt hier über eine sehr spezielle Tour. Passend zu unserem aktuellen Monatsthema: Nachhaltig reisen und Mobilität.

 

Ich schaue gebannt nach links und bewundere die Perfektion des Fluges. Es zieht steil hoch, unter einem Ast durch, gekonnt nach links, um dem Stamm eines Baumes auszuweichen und dabei verliert es kein bisschen an Geschwindigkeit. Ich rolle auf dem Velo stetig bergab und bin einen Moment Teil der Flugakrobatik des Rotkehlchens, das neben mir herfliegt. Bis es plötzlich im dichten Unterholz verschwindet. Ich bleibe fasziniert zurück.

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„Ja, bleibt doch einfach da.“ Ungläubiges Lächeln unsererseits. Wenn man bedenkt, dass wir mitten in einer Pandemie stecken, der Mann uns erst vor zwei Minuten kennengelernt hat und wir nicht gerade chic aussehen in unseren verschwitzten Kleidern, dann ist das doch eine grosse Geste. Er bietet uns an hier auf dieser Wiese unser Zelt aufzuschlagen. Obwohl die Wiese nicht ihm sondern „Klaus“  gehört . „Ja, dem ruf ich dann nachher an und sag ihm, dass ihr da seid. Nur, dass er sich nicht wundert.“ Eine Welle der Dankbarkeit strömt durch mich hindurch. Der Vertrauensvorschuss, der uns hier – mal wieder – gewährt wird, ist atemberaubend.

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„Was, wo ist das genau?“

„Ja, halt so ungefähr auf Höhe Baden, ist so ein kleines Dorf und da gibt es diese Bäckerei, die immer noch selbst backt und da haben die echt feine Brezeln.“

„Also das ist eigentlich genau meine Gegend, aber ich habe keine Ahnung wovon du redest.“

„Ja, ich schau sonst nochmal nach, dann kannst du mal hinfahren. Man entdeckt halt immer so kleine Perlen, wenn man mit dem Velo unterwegs ist.“

Wenn ich so drüber nachdenke, was ich am Reisen mit dem Velo so wunderbar finde, dann sind es wohl diese drei Dinge: die Verbundenheit mit der Natur, die bewegenden Begegnungen und die Möglichkeit meine ganz eigenen Perlen in nah und fern zu entdecken.

Und vielleicht noch, die Unvorhersehbarkeit all dessen. Velo Abenteuer eben. Man könnte natürlich sagen Daniel und ich haben das Ganze auf die Spitze getrieben, in dem wir unsere Jobs gekündigt und unsere Wohnung untervermietet haben und uns zu einer Reise mit dem Ziel Indonesien aufmachten. Wir sind einfach vor unserer Haustür losgefahren und waren 11 Monate, 15.144 Kilometer und ein ersetztes Hinterrad später in der Pizzeria in Indonesien, die wir als Ziel auserkoren haben. Und trotzdem: das Velo – oder in unserem Fall das Tandem – ist für mich kein Weg, um aus meinem Alltag auszusteigen, sondern eher eine Einladung dazu in bewusster wahrzunehmen.

So radeln wir auch öfters unter der Woche nach getaner Arbeit ein wenig durch das Zürcher Oberland, fahren mit dem Tandem zu meinen Eltern in den 110 Kilometer und 800 Höhenmeter entfernten Schwarzwald anstatt den Zug zu nehmen und benutzen es, um bei weiteren Entfernungen zumindest eine Strecke mit ihm zu bestreiten. Zum Beispiel wenn wir in sieben Stunden mit dem Zug nach Luxemburg fahren und eine Woche lang mit dem Tandem zurück in die Schweiz radeln.

Und natürlich haben wir beide ein „Stadtvelo“, das uns Mobilität im schönen Winti verschafft. Wir haben zwar jeder einen Fahrausweis, aber kein Auto. Ganz bewusst. Und ja ich sitze auch an Festtagen in meinem kurzen Schwarzen auf dem Tandem weil ich unbedingt in das Resti will das ausserhalb liegt und meine hochhackigen Schuhe sind auf dem Gepäckträger festgeschnallt, bis ich sie unter den entsetzten Blicken der anderen Gäste so damenhaft wie möglich gegen meine Klickers austausche. Und klar bei jedem Wetter, auch bei strömendem Regen – wenn auch manchmal genervt. Aber ich habe das Gefühl es lässt mich das Leben irgendwie intensiver erfahren. Ich habe nie Stau oder Parkplatzprobleme und den Service für mein Velo mache ich entweder selbst oder mein Lieblings-Velomech schraubt daran rum.

Wahrscheinlich kann ich es mir deshalb auch leisten nur 60% zu arbeiten. Man sagt ja, man würde einen Tag in der Woche für das Auto arbeiten. Ich will damit nicht sagen es gäbe keine guten Gründe ein Auto zu haben, ich finde einfach es ist wie immer im Leben: Ab und zu mal die eigenen Gewohnheiten hinterfragen und sich selbst ein wenig herauszufordern hilft immens dabei andere Perspektiven zu verstehen und wenn ich mal meine Gemeinwohl-Ökonomie-Brille aufsetze, muss ich auch sagen: velöla tut allem gut. Dem Körper, der Psyche, dem weniger Lärm, den weniger Abgasen, den weniger asphaltierten Strassen, dem weniger Platz für Parkhäuser. Und wie es dem Gemeinwohl dient? Vielleicht schätzen wir unsere Natur ja mehr, wenn wir uns als Teil von ihr erfahren. Vielleicht lässt uns die Verbundenheit, die bei Begegnungen entsteht, mehr Mitgefühl für unsere Mitmenschen entwickeln. Vielleicht können wir dem ewigen mehr und weiter weg durch die Wiederentdeckung unserer eigenen Schönheiten ein wenig entfliehen und somit auch den Ansammlungen von Menschen, die uns dann vor der Linse stehen.

Für mich jedenfalls stimmt das. Und ich habe unbändige Freude daran immer mal wieder mit dem Velo loszuziehen und so meine eigene Freiheit zu geniessen, hinzufahren wo ich will. Oder wo der Weg hinführt. Oder wo Daniel uns so hinmanövriert.

Und hey schon Alber Einstein wusste: “Life is like riding a bicycle. In order to keep your balance you must keep moving.”

Wir sind alle immer auf dem Weg, also Füsse in die Luft strecken und einfach mal die Balance üben.

   

Alle Fotos: wanderwonder

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